Das blaue Buch - Roman by Carl Hanser Verlag

Das blaue Buch - Roman by Carl Hanser Verlag

Autor:Carl Hanser Verlag [Kennedy, A. L.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-446-24066-7
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2012-11-06T23:00:00+00:00


»WOLKENBEEREN.«

»Verzeihung, was haben Sie gesagt?« Beth sitzt und blickt stirnrunzelnd zu einem großen, nervösen Mann in graumelierter Jacke und schlechten Schuhen auf. Er steht neben ihr, jemand, den sie noch nie zuvor gesehen hat.

Es ist 1989 und nicht Beths Geburtstag; dicht dran, aber das hier ist bloß eine Party – eine von ihr selbst veranstaltete in ihrer eigenen Wohnung. Oder jedenfalls in der Wohnung, die sie sich mit zwei anderen Studentinnen teilt, die beide eher langweilig sind. Sie hat sie wegen ihrer Fadheit ausgesucht – die unengagierte Sarah und die uninteressante Elaine. Sie möchte promovieren – was ihren Vater freuen würde: Sie muss ihrem Vater keine Freude machen, aber sie würde gern – und Sarah und Elaine werden sie nicht ablenken. Sie hat schon in Wohngemeinschaften gelebt, hat die schreienden Partner und seltsamen Zwänge und traurigen Teints und willkürlichen seelischen Zusammenbrüche zu vieler Fremder und Bekannter und ganz eindeutig verflossener Freundinnen erlebt, um sich dem noch einmal auszusetzen. Sie hat auch vom Studentendasein genug: von Kneipenjobs und Kellnerinnenjobs und Telemarketingjobs, vom Lernen der Zahlen und Wörter eines scheinbar sinnlosen Spiels. Es fühlt sich nicht so an, wie sie erhofft hatte: wie das Aneignen von Geheimnissen, wie Aufklärung. Und sie ist älter: so ein trauriger Fall, den der Campus nicht loswird, denn wo sollte sie sonst hin? Mit Elaine und Sarah hat sie immerhin Ruhe und Frieden – selbst wenn sie beide explodieren, in Flammen aufgehen würden, wären sie doch entschlossen unfähig, Aufsehen zu erregen.

»Ich sagte Wolkenbeeren.«

Beth hockt am oberen Ende der Treppe, inmitten der dämmrigen Stille des Treppenabsatzes – hier oben brennt kein Licht, die Gäste sind gehalten, unten zu bleiben, sich anständig zu verhalten, nicht hoch zu schleichen und heimlich in oder auf anderer Leute Betten zu vögeln. Der Mann muss geräuschlos hinter ihr den Absatz überquert haben und ist ein Eindringling, wenn auch in einem minderschweren Fall. Die Vorstellung ist verstörend. Sie weiß nicht, wo er hergekommen ist, hatte angenommen, allein zu sein – sie ist also eine Weile wehrlos gewesen.

Er lässt sich neben ihr fallen, setzt sich und zieht die Knie hoch bis ans Kinn. »Wie früher als Kind, oder?« Und ganz plötzlich ist er gesellig, locker. »Spät auf sein und heimlich nach den Geräuschen der Eltern spähen.«

Aber er ist nicht ihr Vertrauter und dürfte nicht locker sein, also sagt Beth ihm: »Nach Geräuschen kann man nicht spähen. Man kann sie überhaupt nicht sehen. Genaugenommen.« Sie hat das Gefühl, er könnte nicht eingeladen sein – er sieht jedenfalls nicht nach Sarah oder Elaine aus – langes blondes Haar und ein penibel gestutzter Bart, eine intelligente Ausstrahlung.

Die er wahrscheinlich vorspiegelt.

Er sieht aus wie General Custer – also kann er nicht besonders helle sein.

Er sieht aus wie ein Hochstapler.

Er sieht nicht wie ein Teil ihrer Zukunft aus – ein langer, flatternder Riss, auf Jahre und Jahre und Jahre hinaus. Sie hat keine Vorhersage in der Tasche, die ihr bedeutet: Am vierten Tag des dritten Monats im Jahr 1989 wird Elizabeth Caroline Barber Arthur Peter Lockwood kennenlernen, und sie werden von da an und für immer nicht gut füreinander sein.



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